In etwa 90 Minuten Spielzeit erzählt VIRGINIA eine Geschichte voller Mysterien, Andeutungen und Emotionen – Und das ohne eine einzige Zeile Dialog! Ob dieses Experiment gelungen ist und wie der surreale Krimi es schaffen will, euch in den Bann zu ziehen, erfahrt ihr in der folgenden Review.
VIRGINIA ist nicht nur stark inspiriert von 90er Mysterserien, wie Twin Peaks und Akte X, sondern auch von Brendon Chung’s Thirty Flights of Loving. Dieses erzählte, wie viele der Spiele von Blendo Games, eine filmische Geschichte aus der Ego-Perspektive und setzte dabei auf starke Bildsprache, um seine Handlung zu vermitteln. Wie auch Chung’s Spiele, verwendet VIRGINIA viele Schnitte, mitten im Spielgeschehen, die euch ständig von Ort zu Ort tragen, noch während ihr euren Charakter geradeaus steuert.
Diese filmische Präsentation geschieht leider auf Kosten des – nennen wir es mal “Spiel-seins”. In VIRGINIA habt ihr beinahe keinen Einfluss auf das, was auf dem Bildschirm vor sich geht. Ihr bewegt euren Charakter von Punkt A nach Punkt B, findet das eine Objekt in der Umgebung mit dem ihr interagieren könnt und die Geschichte wird fortgesetzt. Oft ist es sogar noch weniger als das, beispielsweise wenn ihr auf dem Beifahrersitz eines Autos oder an eurem Schreibtisch sitzt und nichts weiter tun könnt, als euch die Umgebung anzusehen. Viel “Spiel” bleibt dabei zwar nicht übrig, einen gewissen Reiz hat das Ganze dennoch. Im Gegensatz zu vielen sogenannten “Walking Simulatoren”, die euch oft nur durch leere Umgebungen führen und hier und da mal ein Tonband abspielen, stecken die Umgebungen von VIRGINIA voll mit Details und voller Leben. Ihr habt das Gefühl, tatsächlich Teil einer interaktiven Geschichte zu sein und während ihr auf diese keinen Einfluss habt, arbeitet euer Kopf dennoch mit und versucht, all die Mysterien des Spiels zu entschlüsseln.
Zur Geschichte nur so viel: Ihr seid eine FBI Agentin, die im Vermissten- oder Entführungsfall eines kleinen Jungen in der fiktiven Stadt Virginia ermittelt. Während euch dieser Fall vordergründig voranzutreiben scheint, gehen ständig merkwürdige Dinge vor sich, die sich vor allem in Traumsequenzen und verschiedenen Symbolen äußern. Viel wichtiger scheinen jedoch die Charaktere zu sein, mit denen ihr im Spielverlauf interagiert (wie gesagt, vollkommen wortlos) und natürlich ihr selbst, eine junge, schwarze FBI Agentin in den 1992ern.
Die Geschichte von VIRGINIA nimmt einige Wendungen, wird zunehmend verwirrender und überzieht diesen Aspekt für meinen Geschmack leider etwas zu sehr. Ab einem gewissen Punkt entsteht der Eindruck, das Spiel wolle dringend versuchen “künstlerisch” zu wirken und etwas zu sehr David Lynch imitieren, indem es sich 1 zu 1 dessen Symbolik bedient. In anderen Szenen wiederum funktioniert der Surrealismus ausgezeichnet. Leider addieren sich die fehlenden Dialog, schnellen Schnitte und die vielen wirren Szenen irgendwann zu einem undefinierbaren Haufen, den zu entschlüsseln dann doch etwas zu mühsam wirkt.
VIRGINIAs größte Stärken sind Musik, Optik und Atmosphäre und natürlich das Zusammenspiel dieser drei Aspekte. Der ungewöhnliche Grafikstil hilft erstaunlicherweise dabei, die Umgebungen realistisch wirken zu lassen. Die Musik ist sehr abwechslungsreich, fast immer mysteriös und an jede einzelne Situation angepasst. Kleinere Fehlgriffe, wie die besonders laute Musik in einer Szene, in der der Spieler eigentlich lange Texte lesen muss, fallen nicht weiter ins Gewicht.
Übrigens verwendet VIRGINIA jene Art von Ego-Perspektive, in der ihr jederzeit hinab auf euren Körper sehen könnt. Sitzt ihr beispielsweise auf einem Stuhl oder in einem Autositz, könnt ihr euren Kopf realistisch weit nach hinten und zur Seite neigen. Problematisch ist leider die Steuerung, die etwas hakelig ist und das Anklicken von Objekten oft schwierig macht – und das obwohl dies, wie bereits gesagt, eure einzige Interaktionsmöglichkeit mit der Welt ist.
Fazit: Ob VIRGINIA euch gefällt oder nicht, hängt wohl größtenteils von seiner Geschichte ab und davon, ob ihr gerne auf klare Auflösungen verzichtet und euch lieber in eigene Interpretationsansätze stürzt. Ich für meinen Teil liebe diese Art von Geschichten, hatte bei VIRGINIA, aufgrund der fehlenden Dialoge und Erklärungen, jedoch schon in ganz gewöhnlichen Szenen oft Schwierigkeiten, der Handlung zu folgen. Gerne hätte ich mehr Interaktionsmöglichkeiten in den Umgebungen gehabt und hier und da eine Entscheidung – nicht in Dialogform, sondern durch Handlungen bzw. Nichthandlungen – hätten das Ganze noch etwas interessanter machen können. Doch auch als das was es ist, ist VIRGINIA ein spannender Thriller, der im Spielebereich beinahe einzigartig ist. – 80%
Vielen Dank an 505 Games und Variable State, die uns das Spiel als Review Code zur Verfügung gestellt haben.
von Tony M