Review: The Thaumaturge (PS5)
12. Dezember 2024Ihr wolltet schon immer mal mit Ra-Ra-Rasputin auf Ma-Ma-Monsterjagd gehen? Ein bisschen merkwürdig, aber dann ist “The Thaumaturge” womöglich genau das richtige Spiel für euch. Das RPG vom polnischen Entwickler “Fool’s Theory” versetzt euch nämlich in das Warschau von 1905, wo ihr nicht nur historische Ereignisse bezeugen, sondern auch übernatürliche Geheimnisse untersuchen dürft.
Plattform: PS5 (Xbox Series X/S, Windows)
Release: 04.12.2024 (Konsole)
Entwickler: Fool’s Theory
Publisher: 11 Bit Studios
“Thaumaturge” ist nicht nur schwer auszusprechen, das Konzept ist zu Beginn auch schwer zu greifen. Irgendwo zwischen Detektivarbeit und Monsterjagd schwingt der Thaumaturg zwar weniger Waffen als zum Beispiel ein Hexer, verfügt aber über eine “andere, tiefere Wahrnehmung der Welt”, die es ihm ermöglichst, in die Seelen der Menschen zu blicken, ihre Emotionen und Erinnerungen zu erspüren und so Hinweise zu verbinden. Dabei stößt er manchmal auf Salutoren, das sind Dämonen, die sich an die Laster von Menschen heften und sie fortan beeinflussen. Besiegt der Thaumaturg einen solchen Salutor, kann er selbst von ihm Nutzen machen. Wer an ein düsteres polnisches Gegenstück zu “Pokémon” denkt, liegt nicht ganz falsch.
Im Kern ist das Spiel von “Fool’s Theory” und “11Bit Studios” aber vor allem ein sehr narratives Top-Down-RPG mit gelegentlichen Kämpfen und vielen Dialogen und Entscheidungen. Das Setting ist absolut einzigartig und führt uns in ein Polen (hauptsächlich Warschau) zehn Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Die Vermischung von Geschichte und Fiktion macht richtig viel Spaß. Noch bevor wir die große Stadt erreichen, macht Protagonist Wiktor Szulski einen Abstecher in ein abgelegenes Dorf, wo er den einzig wahren Grigori Jefimowitsch Rasputin treffen will. Wiktor ist von einer Krankheit geplagt, die ihn nicht nur dahin rafft, sondern auch daran hindert, seine Kräfte voll zu nutzen. Rasputin soll ihm Heilung verschaffen und wird gleich noch zu so etwas wie Wiktors Sidekick für das erste kleine Abenteuer. Mit diesem Watson an der Hand lässt sich die komplexe Natur des Thaumaturg-Daseins gleich etwas besser erklären.
Nachdem die beiden einen kleinen Mordfall aufgelöst haben, bekommt Wiktor eine Nachricht von seiner Familie, die ihm keine Wahl lässt, als nach Warschau zurückzukehren.
Das Storytelling ist ganz klar die große Stärke von “The Thaumaturge”. Wiktor ist ein facettenreicher Charakter, dessen komplizierte Familiengeschichte wir bei Ankunft in Warschau nach und nach aufdecken. Auch jeder Thaumaturg besitzt ein Laster, das ihn auszeichnet. Wiktors Laster ist Stolz. In Dialogen habt ihr immer wieder die Wahl, eine stolze Antwort zu wählen, mit der Wiktor seinen Gegenübern selbstbewusster gegenübertritt. Beispielsweise wenn ihr das erste Mal von desertierenden Soldaten angehalten und belästigt werdet. Stolze Antworten nähren Wiktors Stolz und erzwingen im späteren Spiel auch mal Antworten, ohne dass ihr einen Einfluss darauf habt. Natürlich könnt ihr die stolzen Antworten auch ignorieren, da die Dialoge auch sonst interessante Optionen anbieten. Zuweilen lassen sich neue Dialogoptionen erst durch Entdeckungen freischalten. Alle aktiven Dialoge sind vertont, nur die Hintergrundgespräche auf den Straßen erscheinen als stumme Texte. Dokumente wie die vielen Zeitungsausschnitte und Plakate sind natürlich nicht vertont, leider aber auch nicht die kleinen Textboxen, in denen Wiktors Entdeckungen zusammengefasst werden. Es gibt auf jeden Fall viel zum Lesen, aber die Präsentation mit all den vertonten Charakteren kann sich sehen (und hören) lassen, auch wenn deren verschiedene Dialekte etwas inkonsequent sind.
Das Studio “Fool’s Theory”, das sich 2015 aus Entwicklern verschiedener Studios zusammen setzte, beweist ein weiteres Mal, wie wichtig Polen für die Gamingszene geworden ist. Besonders der Fokus auf einer starken, einzigartigen Narrative, aber auch die Einbindung polnischer Folklore gemischt mit vielen realen historischen Ereignissen, spricht für das Studio und lässt umso mehr auf das “The Witcher”-Remake hoffen, an dem “Fool’s Theory” in Zusammenarbeit mit “CD Project Red” gerade arbeiten.
So stark die Geschichte und die Atmosphäre sein mögen, steht das Gameplay etwas hinten an. Auf den ersten Blick fühlt sich “The Thaumaturge” an wie ein typisches westliches Top-Down-RPG im Stil von “Baldur’s Gate”, doch die rundenbasierten Kämpfe erinnern viel mehr an ein klassisches JRPG-System. Hier werden in einem Kampfbildschirm Aktionen angeklickt, eine Zeitleiste zeigt, wann die Gegner womit reagieren und wie lange die eigene Attacke brauchen wird. Das ist besonders clever, da es auch die Wahrscheinlichkeit gibt, gegnerische Attacken zu stoppen. Indem man Gegnern Fokus raubt, kann man sie anschließend mit einer umso stärkeren Attacke umhauen. Die Salutoren kämpfen auch mit und man kann jederzeit zwischen ihnen wechseln.
Das Kampfsystem ist einerseits sehr komplex: Man muss auf verschiedene Werte achten und hat vor jedem Kampf die Möglichkeit, seine Angriffe mit verschiedenen Zusatzeffekten zu belegen, die man durch Aufleveln in einem Talentbaum erhält. Auf der anderen Seite wirkt die Präsentation dann aber doch etwas schlicht. Meist boxt Wiktor seine Gegner, dann greift der Salutor von hinten an. Die Gegner sind meist eine Variation aus Straßenschlägern oder einfachen Soldaten.
Kämpft man gegen andere Salutoren oder Thaumaturgen, lauert das riesige Monster im Hintergrund und nimmt Einfluss auf den Kampf, doch in erster Linie gilt es weiterhin die Menschlein im Vordergrund umzuhauen. Das Kampfsystem erfüllt seinen Zweck, doch es wird deutlich, dass die Kämpfe nur da sind, um das sonstige Geschehen etwas aufzulockern.
Auch die Detektivarbeit ist eher erzählerische zufriedenstellend und weniger in der tatsächlichen Ausführung. Wie in Spielen seit einigen Jahren üblich, habt ihr einen Button, um eure Umgebung zu scannen, findet damit Hinweise und Wiktor setzt sie anschließend für euch zusammen. Scannen, Suchen, Scannen ist so ziemlich der übliche Gameplay-Loop außerhalb der Dialoge und kann schnell etwas ermüden. Immerhin tut ihr das in schicken, detaillierten Umgebungen und mit einem guten Sounddesign (das Scannen klingt ein wenig wie ein Fingerschnippen), sodass es nicht allzu negativ auffällt.
Zwischen Storysegmenten dürft ihr frei durch die verschiedenen Stadtteile reisen und zahlreiche Nebenquests angehen. Viel Freizeitgestaltung gibt es aber nicht. Den Barbier und den Schneider, den euch eure Schwester vor einem schicken Anlass aufsuchen lässt, dürft ihr aber beispielsweise jederzeit wieder besuchen, um Wiktor erneut zurechtzuschneidern.
Im Kern ist “The Thaumaturge” eben ein narratives Adventure mit einem faszinierenden historischen Hintergrund, toller Atmosphäre und spannenden Ideen und allein das macht es absolut lohnenswert. Fans von Spielen wie “Vampyr” oder vielleicht auch “Disco Elysium” könnten interessiert sein.